Sascha Weidner: Suche nach dem magischen Moment

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Von Sascha Weidner (1974–2015) hatte ich noch nie gehört bis ich durch die aktuelle Ausstellung im Fotografie Forum Frankfurt auf ihn aufmerksam wurde. Der Fotokünstler ist mit nur 40 Jahren an Herzversagen verstorben. Zurück bleibt ein Werk von tausenden Fotografien. 89 von ihnen sind jetzt in einer Monografie im Hatje Cantz Verlag erschienen, 1001 werden in einer Ausstellung im Fotografie Forum Frankfurt noch bis zum 29. Januar 2017 präsentiert.

Die Monografie "Intermission II"

Blättern wir ein wenig im Bildband und tauchen ein in die poetische Bildwelt Sascha Weidners. Wir finden Bilder, die wie Rätsel sind: Eine Hand, die eine Wasseroberfläche berührt, die vertikal wie eine Wand zu einer anderen Welt aufragt. Ein Ahornbaum, dessen Blätter sich wie Goldregen in die Nacht ergießen. Ein blühender Mandelbaum, ruhig und zart, in sanftes Blau getaucht. Schwarze Nacht, ein Lichtdurchbruch in den Wolken, der sich im Meer spiegelt.

Auf den ersten Blick sehen die Bilder von Sascha Weidner wie Schnappschüsse aus. Wer länger verweilt, wird erkennen: Alles ist sorgfältig komponiert, Farben und Formen haben ihren Platz. Die Doppelseiten im Bildband sind kleine Kunstwerke, in denen zwei Bilder miteinander sprechen und mehr aussagen, als eines allein.
Weidners Fotografien sind stets subjektiv. Vieles wird nur angedeutet oder bleibt verborgen. So laden seine Bilder uns ein, eigene Geschichten zu imaginieren. In meinem Kopf schwirren Assoziationen. Hier denke ich an den Popsong „Nightswimming“ von R.E.M., dort an die im Wind tanzende Plastiktüte aus dem Film „American Beauty“.

Sascha Weidner sah sich selbst als einen „romantisch bewegten Reisenden“. In seinem autobiografischen Video „A Part of it“ erzählt er davon, was ihn antreibt: „Alles, was ich mache, ist letztendlich eine Suche. Die Suche nach einem magischen Moment, der nicht wirklich hier verortet ist.“

Im Bildband „Intermission II“ nimmt er uns mit auf eine Reise in vier Kapiteln. Hell und zärtlich ist der Beginn; es folgen Bilder, die von Schönheit, Sehnsucht, Melancholie und Verlust erzählen; immer wieder Bilder von Wasser, einem seiner bevorzugten Themen. Die Reise endet mit einem Crash - einem Autowrack in Flammen.

Die Ausstellung "Was übrig bleibt"

„Was übrig bleibt“ im Fotografie Forum Frankfurt ist die Neuauflage einer Ausstellung, die erstmals 2009 im Museum für Fotografie in Braunschweig zu sehen war. Das Konzept des Künstlers: Statt seine Bilder nur zu zeigen, verschenkt er sie. Jeder Besucher darf ein Bild mitnehmen, wenn er eine kurze Begründung zurücklässt, warum er gerade dieses Bild ausgewählt hat.

Am Abend der Vernissage waren die 1001 postkartengroßen Fotografien noch alle zusammen auf einer großen Wand ausgestellt. Auf langen, schmalen Regalleisten angeordnet zu neun Etagen, bildeten sie flirrendes Tableau: Auf der linken Seite Abzüge, in denen die Farbe Weiß dominierte, weiter ging es mit Gelb, Rot, Grün und Blau, bis am rechten Ende der Wand Schwarz die Bilder dominierte.

Schon am Eröffnungsabend lichtete sich das Tableau: Gäste der Vernissage – auch ich! – wählten ein Bild aus, kommentierten ihre Wahl, und durften ihr Bild fein säuberlich verpackt mit nach Hause nehmen. Auf der gegenüberliegenden Wand des Ausstellungsraums waren Duplikate angepinnt, zunächst noch mit der leeren Rückseite zum Betrachter. Sie werden später – neu nach Themen sortiert – auf dieser zweiten Wand aufgedeckt, nachdem sie von der ersten Wand verschwunden sind.  

Das Ausstellungskonzept ist außergewöhnlich und lädt zur Interaktion ein. Eines kommt dabei jedoch zu kurz: das Zwiegespräch mit den Bildern. Über tausend Fotos auf einer Wand! Ich wurde von der schieren Masse erschlagen. Das kleine Format, welches die Installation erst ermöglicht, beschränkt leider auch die Bildwirkung. Auf der großen Wand gehen viele Bilder einfach unter und bleiben unentdeckt. Wer länger Nachsinnen möchte, der greife zum Bildband. Dort haben die Fotografien von Sascha Weidner das, was sie aus meiner Sicht brauchen: mehr Raum.

Ein neu entdeckter Fotokünstler, ein Bildband, eine Ausstellung. Was für mich übrig bleibt: die Aufforderung, Schönheit im Alltag zu entdecken und festzuhalten. Mit der Kamera – oder mit dem inneren Auge.

 

Sascha Weidner: Monografie „Intermission II“, erschienen bei Hatje Cantz, 160 Seiten, 89 Abbildungen, 39,80 Euro
Ausstellung „Was übrig bleibt“ im Fotografie Forum Frankfurt, bis zum 29. Januar 2017